Ein großer Saal – Sessel wie im Kino – seltsame Stimmung – Lauscher auf – Hören – Singen?
Mitten in die Abendprobe hineingeplatzt ...
... kenne ich zwar die gerade zu probende Beethoven-Kantate Franz Liszts bereits, nichtsdestotrotz scheint es mir, als sei ich gänzlich fehl am Platz. Zum Glück mit negativem Testergebnis, aber leider auch uneingesungen, denn wo hätte ein Einsingen erfolgen sollen – in der Bochumer Stadtbahn mit Maske? – lande ich also auf einem Stuhl und bin wie verloren in diesem Raum und in diesem Chor. Ich nehme alles zusammen, was ich aufbieten kann und singe das, von dem ich meine, dass ich mich aus 2019 daran erinnere. Der „melodische Prophet“, der doch so rätselhaft eingeführt wird: „[m]it klingendem Gefieder, hoch schwebt er ob dem Rhein, auf eine Hütte nieder fällt, seines Stromes Schein, dann wird der Geist geboren der Himmelsklang versteht, des Gotts, der ihn erkoren“ macht mich stutzig. Aber, ich erinnere mich: Landesjugendchor Thüringen, vertraute Gesichter in der Ferne – durch die Abstände von min. 1,5m in alle Richtungen – und der erste Ansatz eines Chorklanges, den ich vernehme trotz des wenig klangfreudigen, eher trockenen Raumes. Gleichzeitig beginnt das Theologinnen-Gespür die gerade zitierte Textpassage zu analysieren. Die Terminologie klingt wohl vertraut (auch von anderen geistlichen Werken, die der LJC bereits musizierte), aber referiert sie auch auf den bekannten und vermuteten Inhalt? Wovon ist hier eigentlich die Rede? Wer ist dieser Prophet? Welcher Geist wird geboren, theologisch gesprochen: inkarniert? Wen hat Gott erkoren oder vielmehr: singe ich hier vom selben Gott von dem ich in der Bibel lese? Dr Gott Israels? Der Gottvater Jesu Christi? Mein eigener Geist bleibt also auch bei bereits bekannter Musik hell wach und kommt langsam aber sicher in Raum und Chorgemeinschaft des LJCs an. Ein schönes Gefühl!
Nicht nur mit vielen (ungeklärten theologischen) Fragen schreitet die Woche freudig voran, denn auch die jeweils aktuellen Infektionsschutzverordnungen sorgen öfters für Fragezeichen als für eindeutige Anweisungen, sondern vor allem mit munterem und sich kontinuierlich weiter wohlformendem Klang vokaler Musik. Sphärische Klänge in ungewohnt geworden großer Chorbesetzung neben klassischen Marienvertonungen bringen den für den LJC-üblichen Abwechslungsreichtum ausgezeichnet zum Ausdruck. Pausen erscheinen bei dieser großen Abwechslung überflüssig, zumal der Chor durch täglich eintrudelnde weitere bekannte Gesichter – im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten – immer größer wird und ausgezeichnet organisiert kulinarisch versorgt wird.
So nimmt die Woche, die im trockenen und mitunter schwer musizierbaren Bochumer Audimax begann, im zumindest akustisch nicht weniger ungewohnten World Conference Center in der Beethovenstadt Bonn ihren Lauf und LJC und ausgewählte Teile des Bochumer Universitätschores ernten dankbar das Lob des Dirigenten Frank Beermanns. Mit einem Jahr Verzögerung kann dann also die zuvor verschollen gewesene Beethoven-Kantate Franz Liszts zur Eröffnungsmatinée des Beethovenfestes 2020 erklingen. Ich freue mich, dass der LJC Teil dieser Veranstaltung sein darf.